Tim | 14.03.2017
Quidditch als echter Sport: Schnell, herausfordernd, komplex
Quidditch ist die mit Abstand populärste Sportart in der Welt von Harry Potter. Der Status in der magischen Gesellschaft lässt sich am ehesten mit Fußball in Europa vergleichen: Erstaunlich viele Menschen können sich dafür begeistern, auch wenn sie sonst nicht viel für Sport übrig haben. Obwohl wir hier von einer fiktiven Sportart sprechen, findet Quidditch längst nicht mehr nur in den Köpfen der Leser statt. Seit rund zehn Jahren existiert Quidditch wirklich! Jeder sportbegeisterte Muggel kann sich einem offiziellem Team anschließen, einen Besen besteigen und als Jäger, Treiber, Hüter oder Sucher Quidditch spielen! Bevor wir aber erklären, wie man Quidditch eigentlich spielt, werfen wir einen kurzen Blick auf die Geschichte des Sports.
Im Jahr 2005 beschlossen die Studenten Xander Manshel und Alex Benepe aus den USA, Quidditch für Muggel umzusetzen. Sie hatten ja keine Ahnung, was sie damit lostreten würden. Nur zwei Jahre später wurde die erste offizielle Muggel-Quidditch-Partie ausgetragen, im gleichen Jahr gründete sich mit der Intercollegial Quidditch Association eine echte Organisation – der Name macht deutlich, dass sich zu Beginn vor allem Universitäten für den Sport begeisterten. Schon 2008 wurde eine – vergleichsweise kleine – Weltmeisterschaft ausgetragen, der größere Meilenstein war aber das Turnier von 2011: Beeindruckende 96 Teams spielten vor mehr als 10.000 Zuschauern um den Titel! Immer mehr Menschen waren fasziniert vom Muggel-Quidditch … Verzeihung, ein Einwurf: Auch wenn es sich um die Variante für nicht-magische Menschen handelt, sprechen die Sportler von Quidditch, nicht von Muggel-Quidditch, immerhin handelt es sich um einen ernstzunehmenden Sport! Aber weiter im Text: Da sich immer mehr Menschen für Quidditch begeisterten, wurde die Organisation 2014 umgekrempelt und zweigeteilt. Seitdem gibt es den speziellen amerikanischen Verband US Quidditch und die International Quidditch Association, die weltweit agiert. Auch in anderen Ländern haben sich nationale Verbände formiert, hierzulande etwa der Deutsche Quidditchbund.
Auf die Frage, wie Quidditch ohne fliegende Besen funktioniert, würde Oliver Wood vermutlich antworten: “Es ist leicht zu verstehen, auch wenn es nicht leicht zu spielen ist.” Und damit hat er vollkommen recht. Im Prinzip sprechen wir von einer Kontaktsportart, die Elemente aus unterschiedlichen Sportarten miteinander verbindet, beispielsweise Handball und Rugby. Ein Spiel verläuft eigentlich wie in JK Rowlings Romanvorlage: Drei Jäger passen sich den Quaffel (Volleyball) zu und versuchen, den Ball durch einen der drei gegnerischen Torringe zu befördern, der Hüter will das verhindern. Die Spieler müssen dabei stets einen Besen beziehungsweise einen besenartigen Gegenstand zwischen den Beinen führen. Das klingt im ersten Moment doof, ist aber eine gewollte Schwierigkeit, die Quidditch besonders anspruchsvoll macht; es gibt übrigens genaue Bestimmungen, wie so ein Besen auszusehen hat. Zwei Treiber werfen derweil mit Klatschern (Dodgebälle) gegnerische Spieler ab, wer getroffen wird, muss zu den eigenen Torringen rennen und darf bis dahin nicht ins Spielgeschehen eingreifen. Der Sucher muss natürlich den Schnatz fangen, was uns zur ersten Besonderheit bringt.
Der Schnatz wird von einem unparteiischen Spieler verkörpert, der eigentliche Spielball befindet sich in der Socke des sogenannten Schnatzläufers. Er kommt ab der 17. Minute zum Einsatz und muss alles daran setzen, nicht von den Suchern gefangen zu werden. Mittlerweile wurden die Regeln für den Schnatzläufer insoweit angepasst, dass er das eigentliche Spielfeld nicht mehr verlassen darf. (Früher war es tatsächlich erlaubt, mit einem Fahrrad vor den Suchern zu fliehen!) Wie in der Buchvorlage endet das Spiel erst, wenn der Schnatz gefangen wurde, was dem erfolgreichen Team 30 Punkte (nicht 150) einbringt. Eine weitere Besonderheit im Vergleich zu anderen Sportarten: Quidditch ist gewollt gemischtgeschlechtlich! Tatsächlich wird ein Team nur dann offiziell zugelassen, wenn maximal vier Spieler das gleiche Geschlecht haben.
Der Ehrlichkeit halber müssen wir erwähnen, dass unsere kurze Beschreibung sehr simpel gehalten ist, tatsächlich sind die Quidditch-Regeln ziemlich komplex. Das offizielle Regelwerk liegt mittlerweile in der neunten Fassung vor und umfasst über 200 Seiten! Wer genauer wissen möchte, wie das Spiel funktioniert, der schaut am besten auf der offiziellen Webseite des Deutschen Quidditchbundes vorbei, wo unter anderem auch Mannschaften der Bundesrepublik vorgestellt werden. Wir haben uns derweil mit Julia Frieling vom Berliner Team “Berlin Bluecaps” über die Faszination Quidditch unterhalten. Wer aus der Nähe kommt und selbst mal bei einem Training dabei sein möchte, kann sich sehr gerne über die Facebookseite beim Team melden! Jetzt aber viel Spaß mit dem Interview.
Quidditch ist faszinierend. Immerhin fliegen die Spieler in atemberaubender Geschwindigkeit auf ihren Besen durch die Luft, weichen fiesen Klatschern aus und sind zu jeder Zeit einigen Gefahren ausgesetzt. Wie überträgt man diesen Nervenkitzel ohne Magie auf Quidditch für nicht-magische Menschen?
Der Nervenkitzel beim Quidditch bleibt – auch ohne Magie. Quidditch, auch die Muggel-Version, ist ein schneller Sport mit viel Körperkontakt und viel Action. Auf dem Feld passiert so viel gleichzeitig, dass es für jemanden ohne Regelkenntnisse schwer ist, dem Spiel überhaupt zu folgen. Es wird mit vier Bällen gespielt, es gibt vier unterschiedliche Spieler-Positionen und den Schnatzläufer. Das Einzige, was uns wirklich von der magischen Sportart unterscheidet, ist der Fakt, dass wir (leider) nicht fliegen können.
Das Muggel-Quidditch gibt es in seiner Grundform schon eine ganze Weile, seit 2008 sogar echte Weltmeisterschaften! Wie wird Quidditch heutzutage wahrgenommen? Sehen die Leute es als ernste Sportart an oder halten euch die Menschen für verrückt? Gibt’s Unterschiede zwischen Deutschland und den USA?
Quidditch hat einen großen Wandel durchgemacht. Am Anfang war es wirklich nur eine Art Nerd-Sportart und wurde nicht wirklich ernst genommen. Es hat sich aber in kurzer Zeit sehr schnell entwickelt und wird zumindest in den USA schon seit Jahren als ernstzunehmender College-Sport wahrgenommen. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass man immer erstmal komisch angeguckt wird, wenn man von Quidditch erzählt, aber Interesse ist immer vorhanden. “Das aus Harry Potter? Wie wird das gespielt? Und wie fliegt ihr?” Jeder kennt Quidditch! Und die Idee, dass es in der realen Welt gespielt wird, scheint erst einmal verrückt. Aber wenn man sich damit auseinandersetzt, wird einem klar, dass JK Rowling tatsächlich eine Sportart entwickelt hat, die ein Regelwerk hat und die man auch “in echt” spielen kann. Jeder, der es mal ausprobiert hat, ist überrascht, wie anstrengend der Sport ist. Wir rennen nicht einfach nur verrückt auf Besen durch die Gegend. Ich denke, Quidditch wird sich noch weiterentwickeln und immer ernster genommen. Dieses Jahr findet die Weltmeisterschaft außerdem zum ersten Mal außerhalb der USA statt, und das in Deutschland! Darauf sind wir, die ganze Quidditch-Community, sehr stolz!
Der Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist natürlich noch sehr groß, wir sind, trotz der großen Entwicklung die wir durchgemacht haben, noch lange nicht an dem Standard angekommen, den Quidditch in den USA hat. Aber wir sind auf dem besten Weg!
Auch in Deutschland gibt es einen offiziellen Quidditchbund und eine echte Liga. Wie professionell wird die Sportart betrieben? Wo seht ihr euch mit eurer Mannschaft? Ist es mehr Just 4 Fun oder eine ernste Sache?
Von der Professionalität her wird in der Deutschen Liga genauso ernst gespielt wie in den USA, Kanada oder Frankreich. Es gibt zur Zeit sieben Vollmitglieder des Quidditchbunds, die alle professionell spielen und an internationalen Spielen teilnehmen. Unsere Berlin Bluecaps sind im Moment ein Entwicklungsmitglied des Quiditchbundes. Das bedeutet, dass wir zwar regelmäßig nach offiziellem Regelwerk trainieren, aber noch nicht bereit sind, als vollständiges Team gegen andere Teams anzutreten. Das liegt vor allem daran, dass wir noch nicht die gewünschte Mitgliederzahl erreicht haben und die Gender-Quote nur knapp erfüllen.
Unsere Mannschaft ist ein Community Team, also ist jeder Willkommen. Unser Ziel ist es, ein Vollmitglied zu werden, aber wir machen das Schritt für Schritt und brauchen einfach noch etwas Zeit. Fakt ist: Wir lieben Quidditch und die Community und haben immer Spaß – ob als Entwicklungs- oder Vollmitglied.
Wenn Quidditch immer professioneller wird, spielt es noch eine Rolle, ob die Teilnehmer selbst Fans sind? Gibt es reine Athleten oder sind alle begeistert von den Büchern und Filmen?
Wie zu erwarten ist der Großteil der Spieler in erster Linie Fan. Anders kommt man auch selten auf die Idee, mit dem Quidditch anzufangen. Aber je mehr es sich entwickelt, desto mehr Athleten kommen dazu. Quidditch ist sehr herausfordernd, auf dem Feld passiert enorm viel gleichzeitig, es ist ein Mix aus Handball, Völkerball und Rugby. Deswegen lockt es vor allem die Athleten, denen andere Sportarten zu langweilig sind. Quidditch ist einfach etwas Neues, was es so noch nicht gibt!
Quidditch ist eine gemischte Sportart, was das Geschlecht betrifft. Selbst die Regeln fördern gemischte Teams bei der Zusammenstellung der Mannschaft. Gleichzeitig ist es ein kontaktfreudiger Sport, wo es richtig zur Sache geht. Gibt es da nicht doch manchmal Bedenken oder Schwierigkeiten, wenn Mann auf Frau trifft?
Ich finde, gerade diese Regel macht Quidditch so revolutionär! In keiner anderen Sportart werden gemischte Teams so gefördert. Es gibt beim Quidditch die Vier-Maximum-Regel. Das bedeutet, dass von den sechs Spielern auf dem Feld (der Sucher ist hiervon ausgeschlossen) nur maximal vier Spieler desselben Geschlechts sein dürfen. Natürlich geht es beim Tacklen schon mal härter zur Sache, aber da fair gespielt wird, muss man sich keine Sorgen machen. Bei dem letzten Quidditch-Event, bei dem ich war, gab es beispielsweise auch Tackle-Workshops, wo man lernte, richtig zu tacklen und richtig zu fallen – die gleichen Regeln für Männer und Frauen. Klar, manchmal gibt es witzige Situationen, in denen ich mit meinen 1,60 Metern klein gegen Adrian (Kapitän Freiburg), riesig groß, tacklen sollte … hat nicht ganz geklappt.
Eine technische Frage: Wie wichtig ist das Equipment in Form der Besen? Bei der fiktiven Vorlage ist die Ausstattung mit unterschiedlich schnellen Rennbesen mit entscheidend für den Erfolg eines Teams. Kommt es beim Muggel-Quidditch nur auf die Sportler an oder auch auf das Equipment?
Es kommt auch auf das Equipment an. Es ist wichtig, dass die Besen möglichst leicht und nicht zu lang sind. Zwischen 1 und 1,30 Meter ist Pflicht. Man muss bedenken, dass man den Besen die ganze Spielzeit mit einer Hand festhalten muss, da würde ein schwerer Besen nur Probleme bereiten. Dann dürfen die Spitzen der Besen natürlich nicht gefährlich sein – man will sich und andere ja nicht verletzen. Sehr beliebt sind zum Beispiel Besen aus Plastikrohren. Abgesehen davon spielen die Besen aber nicht eine ganz so zentrale Rolle wie in den Büchern und Filmen.
Besonders spannend finde ich die Rolle des Schnatzes. Was muss der typische Schnatz-Spieler für Eigenschaften mitbringen? Könnte man hier einen professionellen Athleten nehmen, den keiner fangen kann? Gibt es da genaue Bestimmungen? Wie nah muss er sich am Spielfeld befinden?
Der Schnatz spielt quasi in seiner eigenen Liga, ein professioneller Athlet könnte natürlich ein Schnatz sein. Die Eigenschaften des Schnatzläufers sind Schnelligkeit, Wendigkeit, Ausdauer und ein bisschen Witz. Der Schnatz kommt erst ab der 18. Spielminute auf das Feld, dementsprechend gibt es auch erst ab der 18. Minute einen Sucher. Der Schnatz ist gelb gekleidet und trägt eine Socke mit einem Tennisball an seinem hinteren Hosenbund, den der Sucher an sich reißen muss. Der Sucher, der den Schnatz fängt, beendet das Spiel und holt für sein Team 30 Punkte.
Nach dem neuen Regelwerk, darf der Schnatz das Spielfeld nicht mehr verlassen, da es nach den alten Regeln (wo er weit außerhalb des Spielfeldes sein konnte) oft Probleme gab, in denen nicht festgestellt werden konnte ob der “Snitch Catch” fair und regelkonform war. Die letzten Minuten des Spiels sind immer besonders spannend, weil sie entscheidend sein können. Ein Tor gibt 10 Punkte, ein Snitch Catch 30. Steht es also zum Beispiel 80-40, versucht der Sucher der verlierenden Mannschaft eher den anderen Sucher davon abzuhalten, den Schnatz zu fangen, statt ihn selbst zu fangen, da seine Mannschaft trotz allem verlieren würde. Die letzten Minuten sind immer Nervenkitzel!
In der Vorlage wird Quidditch vor allem durch den Kommentator getragen. Gibt es bei offiziellen Partien auch einen professionellen Kommentar vom Spielfeldrand?
Ja natürlich! Bei den europäischen Spielen ist Laurens, ein Spieler aus Belgien, dafür bekannt – meiner Meinung nach der beste Kommentator! Ich hoffe er kommentiert auch bei der Weltmeisterschaft, dann wird es auf jeden Fall witzig!
Wie seid ihr eigentlich zum Quidditch gekommen? Was war ausschlaggebend?
Ich habe zusammen mit Tim Simmert 2013 die erste Quidditch-Mannschaft in Deutschland gegründet, da wir von der Weltmeisterschaft in den USA gehört hatten und unser Interesse geweckt wurde. Seitdem hat sich unglaublich viel getan! Tim spielt mittlerweile in Darmstadt und ich bin nach Berlin gezogen und habe hier eine Mannschaft gegründet. Ausschlaggebend ist der Spaß daran, etwas Verrücktes zu tun und Leute zu finden, die sich ebenfalls nicht zu schade sind, auf einem Besen herumzurennen. Nach und nach hat sich eine Berliner Quidditch-Community gegründet.
Stell doch mal euer Team etwas genauer vor. Wie sind eure Pläne für die Zukunft? Wie oft trainiert ihr? Jede Woche?
Unser Team besteht im Moment aus etwa zehn Leuten, wir sind alle zwischen 16 und 23 Jahre alt und kommen aus Berlin und Potsdam. Wir trainieren jede Woche, soweit es das Wetter zulässt, im Mendelssohn Bartholdy Park – ziemlich zentral in Berlin. Unser Equipment teilen wir zwischen uns auf, da wir viele Hoops und Bälle brauchen, die auch in den Park transportiert werden wollen. So fahren wir wöchentlich mit Ringen und Besen U-Bahn.
Gegründet wurde das Team schon 2014, lange mit dabei und immer noch sehr aktiv sind zum Beispiel Tara, Rike und Katja. Durch Auslandsaufenthalte und Umzüge müssen wir derzeit leider auf ein paar unserer Mitglieder verzichten, dafür haben wir aber auch viele neue Spieler im Team! Das freut uns natürlich riesig!
Einfach weil es Harry Potter ist und ihr aus Berlin seid: Gibt’s beim Quidditch auch hierzulande ein eher internationales Umfeld? Oder sind das alles deutsche Potterheads?
International! Die ganze Quidditch Community ist total vernetzt und vor allem innerhalb Europas kennt man sich oft, sei es in Spanien, Italien oder Belgien. In Berlin selbst waren wir von Anfang an total international – momentan sind wir allerdings nur aus Deutschland. In der Gründungsphase haben wir mit Joss aus Australien und Jeanne aus Frankreich gespielt. Zwischenzeitlich haben drei Iren mit uns trainiert und letzten Sommer war Esther aus den USA für ein paar Monate bei uns. Quidditch bringt eine tolle Community mit sich, und so wird es glaube ich auch immer bleiben. Es ist auch eine Art Tradition, beim Reisen andere Teams zu besuchen, so war ich selbst zum Beispiel im Sommer bei den Barcelona Eagles zu Besuch.